Endlich: Der Papst hat sich geäußert. Die seit Tagen öffentlich gesteigerte Spannung auf ein Wort aus Rom zum sexuellen Missbrauch kann sich entladen – und findet doch kein Ventil. Der Papst hat zwar einen Hirtenbrief geschrieben – aber an die irischen Katholiken. Und den Iren schreibt er kein Wort über die Situation in Deutschland. Die Luft ist raus – nur um gleich wieder aufgeblasen zu werden.
Übliche Reaktionen
Die Reaktion in Deutschland auf das lang erwartete Schreiben aus Rom sind typisch. Innerkirchlich spricht man von einem klaren Wort, das „klare Weisungen für die gesamte Kirche“ enthalte, so etwa der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch in seiner Erklärung zum Hirtenbrief des Papstes. Im außerkirchlichen Bereich hingegen werden Enttäuschung über das Ausbleiben eines Wortes über die deutsche Situation geäußert (so etwa in der Süddeutschen Zeitung vom 21.3.2010 oder in der FAZ vom 20.3.2010). Auch einzelne Sätze des insgesamt acht eng bedruckte DIN A4 Seiten umfassenden Schreibens werden wieder kritisiert.
Nun, etwas mehr als 24 Stunden nach Veröffentlichung des Hirtenschreibens, scheint man mit etwas mehr Differenzierung an die Interpretation des Papstwortes zu gehen. So titelt etwas die Online-Ausgabe der „Welt“ vom 21.3.2010: „Papst könnte sich noch zu deutschen Fällen äußern“. Ohne ein Prophet zu sein, wird man diese Aussage präzisieren können: Der Papst wird sich noch zu den deutschen Fällen äußern!
Starke Stellungnahme
Das aktuelle Hirtenschreiben des Papstes an die irischen Katholiken bedarf einer genauen kritischen Analyse. Die oberflächliche Rezeption der ersten Stunden wird ihm nicht nur nicht gerecht; sie schafft auch neue Ressentiments, die alte Vorurteile bestätigen, ohne dass dafür ein direkter Anlass gegeben wäre. Es lohnt sich also, das Schreiben genauer anzuschauen.
Zuerst einmal ist der Adressat des Schreibens wichtig. Es sind die irischen Katholiken – nicht bloß die Bischöfe, wie manche Medien vermeldet haben. Damit ist klar, dass das Schreiben in erster Linie pastoral-seelsorglicher Natur ist und keine dienstlichen Anweisungen enthält. Diese dürften – wie der Papst in seinem Schreiben selbst kundtut – bei den verschiedenen Besuchen kirchlicher irischer Amtsträger in Rom erfolgt sein. Jetzt will der Bischof von Rom die verstörten Katholiken Irlands stärken – und bezieht dabei klar Stellung. Er benennt dabei klar die Schwächen des katholischen Systems in Irland – und zwar ohne etwas schön zu reden. Mit ungewöhnlich deutlichen Worten werden etwa die irischen Bischöfe für ihr Fehlverhalten und „Versagen“ getadelt. Auch wenn der Papst als Oberhaupt an der Spitze der Kirche steht, die Bischöfe vor Ort tragen die Verantwortung für das jeweilige Land. Das hat unlängst auch der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, betont. Allein nach Rom zu schauen und von dort die Lösung des Problems zu erwarten, wird der Verantwortung, die die Bischöfe in ihrem jeweiligen Land und für ihre Diözese tragen, nicht gerecht. Gerade hier haben die irischen Bischöfe, so der Papst, versagt. Unumwunden benennt Benedikt XVI auch Scham und Reue, die er angesichts dieser Situation empfindet.
Schwache Dramaturgie
Hier hat das Schreiben seine große Stärke. Aber es hat auch eine große Schwäche, die leider hängen bleibt. Das liegt an der inneren Dramaturgie des Briefes. Wie bei jedem Text ist vor allem das Ende von Bedeutung. Dieses sogenannte „Achtergewicht“ verleiht gerade dem Briefschluss besondere Aufmerksamkeit. Das, was hier gesagt wird, bleibt in Erinnerung und entfaltet eine besondere Wirksamkeit. Das Wesentliche sollte der Autor daher immer zu Schluss eines Textes platzieren.
Im vorliegenden Hirtenschreiben an die Katholiken Irlands ist das Ende durch einen in einem Zitat des hl. Pfarrers von Ars, Jean-Marie Vianney, enthaltenen Hinweis auf das „Geschenk des priesterlichen Dienstes“ und den Aufruf zum Gebet für die Kirche in Irland geprägt. Beachtet man die Textdynamik, wird deutlich, warum das Schreiben gerade bei den von Missbrauch Betroffenen Irritationen und Protest auslöst: Hier sind gerade nicht die Opfer im Blick. Außerdem scheint der Aufruf zum verstärkten Gebet mit einem Mangel an Konkretion einher zu gehen. Es scheint ein „Ora“ ohne „Labora“ zu sein – ein Beten ohne konkrete Auswirkungen in der Praxis.
Was zählt, ist die Tat
Es liegt auf der Hand, dass dem Papst nicht an einem bloßen Beten ohne praktische Konsequenzen gelegen ist. Dafür ist der Mittelteil des Schreibens viel zu eindeutig. Und trotzdem kann man sich des Eindrucks einer zum Schluss sich steigernden Spiritualisierung nicht erwehren. Um diese Gefahr zu meiden, heißt es nicht ohne Grund in der benediktinischen Regel „Bete und arbeite!“ (Ora et labora).
Die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Kirche hängt nicht zuerst am Gebet, sondern an ihren Taten. So heißt es ja schon bei Matthäus:
An ihren Früchten also werdet ihr sie (die Propheten) erkennen. Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters erfüllt. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten (…)? Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes! (Matthäus 7, 20-23)
Der Papst hat deshalb einen starken-schwachen Brief an die irischen Katholiken geschrieben – ein Brief, dem es nicht an Deutlichkeit mangelt, der zum Schluss hin aber doch vage bleibt. Anders als Jean-Marie Vianney, der als Pfarrer von Ars für ein kleines Dorf am Ende der Welt mit einer überschaubaren Anzahl an Einwohnern zuständig war, spricht die Kirche heute in eine komplexe und plurale Welt, deren Bewohner alles kritisch und mündig auf Plausibilität hinterfragen. Es reicht daher nicht, nur für die Opfer zu beten. Vom Gebet allein wird niemand satt oder heil. Echtes Gebet kann nur dazu führen, die gefalteten Hände zu öffnen, Verantwortung zu übernehmen und zur Tat zu schreiten. Orate et laborate!
Dr. Werner Kleine
Medienecho auf das Hirtenschreiben des Papstes (Quelle: Radio Vatikan)
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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